johanniter 1/2015
Wie stehen Sie in einer so
schwierigen Lage den Betroffenen bei?
Karin Pfeifer:
Unser Ziel ist, die
Menschen aufzufangen, um sie
wieder handlungsfähig zu machen.
Betroffene dürfen laut werden
oder schweigen. Wir wissen um
die Situation und den Schmerz und
den Verlust in dem Moment. Wir
bewerten diese Reaktionen nicht,
sondern schaffen Kommunikations
möglichkeiten.
Herbert Gräßer:
Wir schaffen einen
Rahmen durch unser Dabeisein
und unsere Art zu reagieren und zu
handeln. Unser Gegenüber bekommt
ein Angebot, eine Stütze. Wir sind
das Geländer, das man anfassen,
an demman sich festhalten kann.
Wie erfahren Sie von einer
Notfallsituation, in der Ihre Fähigkeiten
gebraucht werden?
Herbert Gräßer:
Wir sind in das
offizielle Alarmierungssystem der
Leitstelle Stuttgart mit einem
für alle verlässlichen Bereitschafts
plan eingebunden. Und deshalb
auch rund um die Uhr ansprechbar.
Alarmiert werden wir in der Regel
von Rettungsdienst, Polizei oder
Feuerwehr, die vor Ort sind.
Karin Pfeifer:
Egal, wann der Notfall
eintritt: Wenn der Pieper losgeht,
beginnt der Dienst. Auch die Traum
phase endet dann schlagartig …
Herbert Gräßer:
… oder das Kuchen
backen. Man muss jederzeit los
können.
Gibt es Momente,
die Sie besonders berührt haben?
Karin Pfeifer:
Ich wurde mal in ein
nagelneues Haus zu einer Familie
gerufen. Überall standen noch
die Umzugskartons. Der Ehemann
und die Angehörigen waren völlig
fassungslos, da die junge Mutter
plötzlich verstorben war. Der kleine
Sohn hatte schon geschlafen
und musste die schlimme Nachricht
noch erfahren. Das war für alle
Beteiligten eine schier unüberwind
liche Aufgabe.
Die ehrenamtlichen
Mitarbeiter des Kriseninter
ventionsteams Stuttgart
(KIT) helfen unverletzten
Überlebenden eines Unfalls
oder Angehörigennach
Todesfällen in der Familie,
den Schicksalsschlag zu
bewältigen. „johanniter“-
Autorin Ina Krauß hat zwei
der Mitarbeiter befragt.
Wann wird Ihre Hilfe benötigt?
Herbert Gräßer:
Wir werden gerufen,
wenn Menschen in eine unerwartete
und heftige Situation geraten. Das
können tragische Verkehrsunfälle
mit vielen Verletzten oder Opfern
sein, unerwartete Todesfälle, Brände
oder andere Katastrophensitua
tionen. Aber auch, wenn plötzlich
Notfälle in Familien auftreten
oder Kinder allein zurückbleiben.
Was ist Ihre Aufgabe
in einer solchen Situation?
Herbert Gräßer:
Egal ob Unfall oder
Todesnachricht – in allen Fällen
versuchen wir persönliche Stabilität
zu vermitteln. Wir geben der
Situation auch eine Struktur, indem
wir zum Beispiel die nachfolgen
den Abläufe und Vorgehensweisen
erklären. Die wenigsten kennen
das, viele fühlen sich überfordert.
Karin Pfeifer:
Wir helfen dabei,
eine psychisch belastende Situation
oder eine schmerzliche Nachricht
zu verarbeiten und insbesondere
die nächsten Stunden zu über
brücken, bis Freunde oder Familien
angehörige da sind.
Herbert Gräßer,
70, war früher unter anderem
als Erziehungsberater im
JugendamtStuttgart tätig.
Im Kriseninterventionsteam hat
er seit 2008 mehr als 300 Mal
seelsorgerische Hilfe geleistet.
Karin Pfeifer,
60, arbeitet selbstständig als
Organisationsberaterin.
Sie ist seit 2013 im Kriseninter
ventionsteam aktiv und hat
gut 120 Einsätze absolviert.
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In Aktion