Johanniter März 2025

„Wir öffnen jetzt“ hallt es durch den langen Flur. Es ist Punkt 20 Uhr. Knut Güntzel schließt die Ein - gangstür zum Hof auf. Draußen regnet es in Strö - men. Acht junge Männer schlüpfen in das Treppen - haus. Vor dem Empfangstresen bildet sich eine Schlange. Knut Güntzel, groß, breitschultrig, mit grauem Rauschebart und freundlichen braunen Augen, lehnt an der offenen Durchgangstür zum Speisetrakt und nickt den Ankommenden freundlich zu. Er leitet die Notübernachtung „Ohlauer 365“, be - nannt nach ihrem Standort in der Ohlauer Straße im Berliner Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg. „Noch ist es recht ruhig. Aber gegen 22 Uhr sind bei uns fast täglich alle Schlafplätze belegt“, weiß Güntzel. Gut die Hälfte der Gäste komme regelmäßig. 88 Betten warten / Die Notunterkunft in dem Alt - bau mit rund 1.500 Quadratmetern ist schon seit 2018 ein wichtiger Baustein der Johanniter-Kältehil - fe. Ursprünglich war sie nur in der kalten Jahreszeit von November bis April geöffnet. Seit dem vergan - genen Juni bietet sie an 365 Tagen im Jahr Woh - nungslosen einen kostenlosen Schlafplatz sowie eine warme Mahlzeit. Zusätzlich teilen die Johanniter jeden Abend rund 50 weitere Mahlzeiten an Bedürf - tige aus. Das Haus hat 88 Betten für Männer, verteilt auf drei Etagen in schlichten 7-Bett-Zimmern, auch Haustiere sind erlaubt. Daneben gibt es Toiletten, Duschräume und eine Kleiderkammer, außerdem medizinische und soziale Beratung. Am Empfang bindet Eva Cambeiro jedem Gast ein rotes Bändchen um das Handgelenk, auf dem sie eine Bettnummer notiert. Die gebürtige Spanierin, zierlich, fröhlich, aufgeschlossen, hilft einmal die Woche nach der Arbeit ehrenamtlich in der Notunterkunft. „Da - mit wir nicht den Überblick verlieren, wechselt unser Farbcode täglich. Ein heute belegtes Bett ist für die Gäste auch bis 22 Uhr am Folgetag reserviert“, erklärt sie und macht einen Eintrag im Buchungssystem. Nach dem Security-Check erhält jeder Gast eine große schwarze Plastik-Kleiderbox mit der passen - den Nummer, um seine Sachen sicher zu verwah - ren. Denn in den Schlafräumen sind weder Jacken noch Gepäck erlaubt, auch keine Drogen, Tabak oder Feuerzeuge. Zu hoch ist die Brandgefahr. Im Rahmen des niedrigschwelligen Ansatzes der Ein - richtung wird der Drogenkonsum zwar grundsätzlich toleriert, aber eben nicht innerhalb des Gebäudes. Weil Obdachlosigkeit und Suchtprobleme oft zu - sammenhängen, kooperiert die „Ohlauer 365“ eng mit der Drogen- und Suchthilfe von Fixpunkt, einem Träger von Projekten der Gesundheitsförderung und Suchthilfe, der seinen Sitz gleich um die Ecke hat. Fotos: Nikolaus Brade/Michael Rapaic Im Erdgeschoss wird der Andrang vor der Essens - ausgabe von Minute zu Minute größer. Doch die At - mosphäre bleibt ruhig und friedlich. Rund 30 Männer und wenige Frauen unterschiedlicher Nationalitäten warten geduldig, bis sie an der Reihe sind, nur ganz selten gibt es kleine Rangeleien. Viele kennen sich bereits und grüßen sich mit Faustcheck. Den meisten Besuchern sieht man ihre Wohnungslosigkeit nicht an. Sie tragen ausgewaschene Jeans, Basecaps und wattierte Jacken. Alles ganz normal. Erst auf den zweiten Blick sieht man verschorfte Wunden, ange - griffene Zähne oder einfach auch nur müde Augen in einem von der Kälte geröteten Gesicht. Ehrenamt als Rückgrat / Drei Ehrenamtliche rei- chen unermüdlich gefüllte Teller über den Tresen. Die Gerichte für die Übernachtungsgäste werden täglich in einer Großküche fertig gekocht und in gro- ßen Wärmebehältern aus Stahl angeliefert. Heute gibt es Curryhuhn und Kürbis-Bohneneintopf, dazu Nudeln, Möhrensalat und Mandarinen. Alle weite - ren Essen bereiten die Helferinnen und Helfer aus gespendeten Lebensmitteln nach Bedarf vor Ort vor. „Man muss immer einen Plan B haben“, sagt Eva Cambeiro und wärmt in einem großen Topf die Linsensuppe auf. Häufig spenden Tafeln oder Food­ Mitgebrachtes muss in die Box: Für die Gäste der „Ohlauer 365“ gelten klare Regeln. Johanniter / März 2025 / In Aktion 6

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