Alle Jahre wieder wirft das Weihnachtsfest Licht und
Schatten in die dunkle Jahreszeit. Wenn die Tage kürzer
werden und die Dunkelheit zunimmt, erfährt das Licht
eine besondere Bedeutung. Denn der Wechsel zwischen
Licht und Dunkelheit hat den Lebensrhythmus der
Menschen stets besonders geprägt. Ohnehin begreifen
wir die uns umgebende Welt weitgehend in Gegen
sätzen: Gut und Böse, Schwarz und Weiß, Tag und
Nacht – in ihrer Beziehung zu diesen Polen lassen sich
Erfahrungen im Alltag bewerten.
Den christlichen Kulturkreis prägte der schon im
Buch Genesis verankerte Gegensatz von Licht und
Dunkel: Mit der Erschaffung der Welt wird der Tag als
Lebensraum nutzbar gemacht, während die Nacht
als chaotische Gegenwelt lebensfeindlich bleibt. Und
nach wie vor weist das Kirchenjahr zahlreiche Bräuche
auf, was deren besondere Bedeutung hervorhebt: Tauf-
und Kommunionskerzen, Fasten-, Oster-, Mai- und
Martinsfeuer oder die Grablichter der christli-
chen Totengedenktage. Insbesondere die
Adventszeit trägt den Glanz dieser
Symbolik, führt sie doch gerade-
wegs zum „Lichtfest“ Weihnach-
ten. Es verwundert nicht, dass
die liturgische Bedeutung
längst auch den weltlichen
Alltag der Menschen erfasst
hat. Spätestens im 19. Jahr-
hundert verdichten sich
entsprechende Bräuche auch
im familiären Umfeld. Ad-
ventskranz, Schwibbogen und
Weihnachtspyramiden, allem
voran aber der Licht- bzw. Christ
baum übertrugen die christliche
Lichtsymbolik in die gute Stube.
Wie der hell leuchtende Stern in der
Weihnachtsgeschichte den Weg zur Krippe
zeigt, begleitet uns seither ein – zuweilen reichlich
greller – Schein durch die Advents- und Weih-
nachtszeit. Im heimischen „Wettrüsten“
um ein eher amerikanisches Ideal
perfekter Weihnacht erscheinen Lichter
ketten im Vergleich zu illuminierten
Weihnachtsmännern und Rentiernasen
geradezu dezent.
Das kann man mögen oder nicht. Dennoch fallen
Urteile über eine sinnentleerte Konsumgesellschaft
allzu pauschal aus. Kultur ist nie statisch, sondern stets
im Wandel. Im privaten wie öffentlichen Dekorieren
schwindet die einst dominante christliche Bedeutung
zugunsten einer – durchaus kommerzialisierten –
emotionalen Einstimmung auf die dunkle Jahreszeit.
Eine in die Glaubensgemeinschaft gerichtete Kommu
nikation wird zunehmend an Familien, die Nachbar-
schaft und andere soziale Felder adressiert.
Christliche Nächstenliebe erhielt jedoch nicht erst
im Schatten des (vermeintlichen) „Coca-Cola“-Weih-
nachtsmannes den Beigeschmack eines
Diktats „konsumierbarer“ Vorfreude.
Schenkbräuche zu Nikolaus lassen
sich bereits für das 17. Jahrhundert,
weihnachtliche Jahrmärkte sogar
für das Spätmittelalter belegen.
Zweifellos ist die Intensität
eine andere – wie auch bei
der Weihnachtsbeleuchtung.
Urteile sollte man dennoch
nicht leichtfertig fällen.
Was als offenkundige
Energieverschwendung in der
BRD der 1970er-Jahre kaum
denkbar gewesen wäre, bedarf
vielleicht heute neuerlicher
Reflexion: Eine Reduktion der
„Lichtverschmutzung“ wäre schon
psycho-sensorisch ein Segen – gewiss
aber ein wahrhaft nachhaltiges Weihnachts-
geschenk an künftige Generationen.
Lars Winterberg
Denkanstoß
Wenn Rentier
Rudolphs rote
Nase glüht
Lars Winterberg, M. A., 33,
ist Kulturwissenschaftler
der Universität Regensburg
sowie Mitarbeiter einer poli-
tischen Stiftung mit Themen-
schwerpunkt Brauch/Ritual,
Ernährung, Wissen und Politik
im Alltag.
Illustration: Karo Rigaud
johanniter 4/2013
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